Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl by Johnson Uwe

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl by Johnson Uwe

Autor:Johnson, Uwe [Johnson, Uwe]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783518730706
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2013-07-14T22:00:00+00:00


1. November, 1967 Mittwoch

Die Verwalter der Sowjetunion wollen uns mal zeigen was »sozialistischer Humanismus« ist und wollen aus ihren Straflagern und Gefängnissen einige Leute freilassen, etwa Kriegsbeschädigte, Inhaber von Kriegsauszeichnungen, Schwangere und Mütter mit minderjährigen Kindern, nicht aber, zum Beispiel, zwei ungehorsame Schriftsteller.

Die Verwalter Festlandchinas haben die U. S. A. zum 444. Male verwarnt, diesmal wegen Grenzverletzungen auf dem Wasser.

Die Verwalter der U. S. A. freuen sich über die längste Blüte der Wirtschaft in der menschlichen Geschichte, einen Rekord von 80 Monaten bisher, und die New York Times hat ihren Angehörigen mehr Entlohnung zugestanden.

Gestern beging eine Gruppe von Negern auf dem Friedhof Montefiore in Queens den Vorabend von Allerheiligen, warf auch Grabsteine um und beschmiß Autos mit kleinen Steinen und Eiern. Als die Polizei vorfuhr, erst mit einem, dann mit vierzig Funkwagen, waren es dreihundert Jugendliche, die die Vertreter von Gesetz und Ordnung mit großen Steinen und Flaschen bombardierten, alles »Gefärbte«, wie es eine Vor-Schrift der Sprache will.

Auch auf dem Broadway in unserer Gegend liefen Banden von Kindern umher, in Hexenkitteln, in Hexenhüten, mit bemalten und geschwärzten Gesichtern, aber unter der Farbe und dem Ruß war ihre Haut rosa, und so blieb nicht mal ein Polizist verschont. Der Mann ging versonnen auf dem Bürgersteig spazieren, ließ die Pistolenbeule auf der Hüfte wippen und den Knüppel am Handgelenk wirbeln und versah sich nichts Bösen, als fünf verkleidete Kinder ihn umringten und mit Hüpfen und Schreien vor die Wahl stellten, zu opfern oder ein Opfer zu werden, bis er anfing, in der Gesäßtasche nach Münzen zu fingern, verlegen, von Gegenwehr abgehalten durch die Blicke der erwachsenen Passanten, die nicht nur überwachten, ob er sich wie ein Freund und Helfer betrug, sondern auch einmal mit eigenen Augen sehen wollten, wie ein Polizist öffentlich mit echtem und wirklichem Geld herausrückt. Eines der Kinder, das sich am Rande des Überfalls hielt, und nicht ganz unbefangen fuchtelte und leierte, ein Mädchen von Maries Größe, trug einen langen gelben Mantel mit schwarzen Tigerstreifen, wie ihn Marie über das Wochenende geschneidert hatte. Das Gesicht war eingeschwärzt, und die Haare verdeckte eine schwarze Kapuze, und von weitem gesehen konnte es nicht Marie sein. Marie hatte eine eigene Party veranstalten wollen zu Halloween, All Hallows, Allerheiligen, ein Fest zu Hause, und ihre Francine sollte kommen dürfen.

Über Maxies Laden war der johlende Haufe schon hinweggegangen, und der, den die Kunden und Gehilfen Max nennen, stand entgeistert inmitten seines säuberlich ausgelegten Gemüses und Obstes, denn auf dem Boden im Sägemehl lagen zertretene Birnen und Weintrauben, hingeschmettert von enttäuschten Kindern, die lieber Geld bekommen hätten. Im Ausgang des Geschäftes, an der frei hängenden Waage, war eine Nachhut noch beschäftigt mit dem Ausplündern einer alten Dame. Sie war auf eine verwegene Weise bunt gekleidet, in jedem Stück ein Weniges fern von den bekannten Moden, in ihren weißlichen Haarsträhnen trug sie einen bläulichen Schimmer, und sie sah fremdländisch aus, nicht in allem angekommen. Wie sie redete war wunderlich. Offenbar hatte sie für diesen Tag Kleingeld gesammelt, und sie redete in einem fort über die wunderbare Erlaubnis



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